U1 Wirth
Teil II. Fortsetzung von Oera Lindas
U. Konrad
- 1. Gräbe und Deiche
- 2. Über Friso
Wirth 1933
[105] Die Schrift von Konerêd
Meine Ahnen haben nacheinander dieses Buch geschrieben. Das will ich überdies tun, weil in meinem Staat keine Burg übrig ist, an der die Geschehnisse aufgeschrieben werden wie bevor. Mein Name ist Konerêd, meines Vaters Name Frethorik, meiner Mutter Name ist Wiljow. Nach meines Vaters Tod bin ich zu seinem Nachfolger gekoren, und als ich fünfzig Jahr zählte, kor man mich zum obersten Grevetmann.
Mein Vater hat beschrieben, wie die Linda-Orte und die Ljudgärten zerstört worden sind. Lindahem ist noch weg, die Linda-Orte zu einem Teile, die nördlichen Ljudgärten sind durch die salzige See verschlungen. Das brausende Haff schlingt an dem Ringdeich der Burg. Wie mein Vater es berichtet hat, sind die habelosen Menschen hingegangen und haben Häuschen gebauet innerhalb des Ringdeiches der Burg. Darum ist der Rundteil nun Ljudwerd geheißen. Die Seeleute sagen Ljuwrd, aber das ist Fehlsprache. In meiner Jugend war das andere Land, das außerhalb des Ringdeiches liegt, alles Pfuhl und Bruch. Aber Fryas Volk ist wacker und fleißig, sie werden weder müde noch mürbe, weil ihr Ziel zum Besten führt. Durch Ausheben von Gräben und Bauen von Kaideichen aus Erde, die aus den Gräben kam, erhielten wir wieder eine gute Heimstätte außerhalb des Ringdeiches, welche die Gestalt eines Hufes hat, drei Pfähle ostwärts, drei Pfähle südwärts und drei Pfähle westwärts gemessen. Heutzutage sind wir dabei, Wasserpfähle einzurammen, um einen Hafen zu gewinnen und zugleich unseren Ringdeich zu beschirmen. Sobald das Werk vollendet ist, werden wir Seeleute darin aussetzen.
In meiner Jugend stand es hier kraus, aber heute sind die [106] Häuschen schon Häuser, die in Reihen stehen. Und Mängel und Gebrechen, die mit Armut sich hier eingeschlichen hatten, sind durch Fleiß ausgetrieben worden. Hieraus kann ein jeder lernen, daß Wralda, unser Allerhalter[1], alle seine Geschöpfe ernährt, so sie Mut behalten und einander männlich helfen wollen.
Nun will ich über Friso schreiben
Friso, der bereits durch seine Leute machtvoll war, wurde zum obersten Grevetmann gekoren durch die Umländer Staverens. Er trieb den Spott mit unserer Weise der Landwehr und des Seekampfes. Darum hat er eine Schule gegründet, in der Knaben nach Art der Krekaländer fechten lernen. Doch ich glaube, daß er das getan hat, um das junge Volk an seine Schnur zu binden. Ich habe meinen Bruder auch dahin geschickt: das ist nun zehn Jahre her. Denn, dachte ich, nun wir nicht länger eine Mutter haben, um den einen gegen den anderen zu schirmen, so geziemt es mir, zweifach zu wachen, daß er nicht Herr über uns wird.
Gosa hat uns keine Nachfolgerin genannt: darob will ich kein Urteil fällen. Aber hier gibt es noch alte argdenkende Menschen, die meinen, daß sie deswegen mit Friso uneinig geworden ist. Als Gosa gestorben war, da wollten die Leute von allen Orten eine andere Mutter kiesen. Aber Friso, der sich anschickte, sein Reich für ihn selbst zu schaffen, Friso begehrte weder Rat noch Boten von Texland. Als die Boten der Landsassen zu ihm kamen, sprach er und sagte: »Gosa«, sagte er, »war weitsehend und weiser als alle Grevetmänner zusammen: darum hat sie nicht den Mut gehabt, eine Nachfolgerin zu kiesen. Und um eine Nachfolgerin zu kiesen, die zweifelhaft war, darin hat sie Nachteil gesehen. Darum hat sie in ihrem letzten Willen geschrieben: es ist euch besser keine Mutter zu haben, als eine, auf die ihr euch nicht verlassen könnt.«
Friso hatte viel gesehen; im Krieg ward er auferzogen und von den Ränken und Listen der Golen und Fürsten hatte er grade so viel gelernt und ergattert, als er brauchte, um die anderen Grafen dahin zu führen, wohin er wollte. Sieh, wie es sich damit hat zugetragen.
Friso hatte hier ein anderes Weib genommen, die Tochter [107] Wilfrethes: in seinem Leben war er oberster Greva in Stavoren gewesen. Bei ihr hatte er zwei Söhne gewonnen und zwei Töchter. Auf sein Betreiben ist Kornelja, seine jüngste Tochter, meinem Bruder angetraut. Kornelja ist schlechtes Friesisch und muß Kornhelja geschrieben werden. Wehmut, seine älteste, hat er an Kauch verbunden. Kauch, der auch bei ihm zur Schule ging, ist der Sohn Wichhirtes, des Königs der Gertmänner. Aber Kauch ist auch schlechtes Friesisch und soll Kap sein. Aber übele Sprache haben sie mehr mitgebracht als gute Sitten.
Nach der großen Flut[2], worüber mein Vater geschrieben hat, waren viele Jutten und Letten mit der Ebbe aus Balda oder »Übele See« geführet. Bei Kathisgat trieben sie in ihren Kähnen mit dem Eis auf die Niederen Marken (Dänemarken) fest, und darauf sind sie sitzengeblieben. Da waren nirgends Menschen in Sicht. Darum haben sie das Land eingenommen: nach ihrem Namen haben sie das Land Juttarland geheißen. Nachdem kamen viele Dänemärker zurück von der hohen See, aber diese ließen sich südlicher nieder. Und als die Seeleute zurückkamen, die nicht untergegangen waren, ging der eine mit dem anderen auf See oder nach den Inseln. Durch diese Fügung durften die Jutten das Land behalten, auf das Wralda sie geführt hatte. Die Seeländer Schiffer, die sich nicht nur mit Fisch erhalten oder ernähren wollten und einen großen Widerwillen gegen die Golen hatten, begannen die phönizischen Schiffe zu berauben.
An der südwestlichen Ecke Schonlands, da liegt Lindasburg zugenannt Lindasnase, von unserem Apol gegründet, so wie in diesem Buch beschrieben steht. Alle Küstenbewohner und Umländer waren dort echte Fryas geblieben, aber durch die Lust zur Rache wider die Golen und wider die Keltana-Folger machten sie mit den Seeländern gemeinsame Sache. Doch diese Gemeinschaft hat nicht standgehalten. Denn die Seeländer hatten viele übele Bräuche und Gewohnheiten von den schlechten Magjaren übernommen, Fryas Volk zum Spott. Fürderhin raubte jeder für sich, doch wo es sich traf, standen sie einander treulich bei. Zu guter Letzt aber fing es den Seeländern an guten Schiffen an zu mangeln. Ihre Schiffbauer waren umgekommen und ihre Wälder mit Grund und allem von dem Lande fortgefegt worden. Nun kamen [108] unerwartet drei Schiffe und legten an dem Ringdeich unserer Burg an. Durch die Einbrüche unseres Landes waren sie verirrt, und ihre Fahrt hatte den Flymund verfehlt. Der Kaufmann, der mitgegangen war, wollte von uns Schiffe haben: dazu hatten sie allerhand köstliche Waren mitgebracht, die sie von den Keltanalanden und den phönizischen Schiffen geraubt hatten. Sintemal wir selber keine Schiffe hatten, gab ich ihnen flinke Rosse und vier gewappnete Rennboten mit zu Friso. Denn in Staveren und das Alderga entlang wurden die besten Wehrschiffe gemacht von hartem Eichenholz, in das nie Fäulnis hineinkommt.
Während die Seekämpen bei mir verweilten, waren einige Jutten nach Texland gefahren und von dannen an Friso verwiesen worden. Die Seeländer hatten viele von ihren größten Knaben geraubt, die mußten auf ihren Bänken rudern, und von ihren größten Töchtern, um bei ihnen Kinder zu zeugen. Die großen Jutten vermochten dem nicht zu wehren, weil sie keine guten Waffen hatten. Als sie ihr Leid erzählt hatten und darob viele Worte gewechselt waren, fragte Friso zuletzt, ob sie keinen guten Hafen in ihrem Land hätten. »O ja«, antworteten sie, »einen sehr guten, einen von Wralda geschaffenen. Er ist eurem Bierkrug dort gleichend, der Hals ist eng, doch in seinem Balg können wohl tausend große Kähne liegen. Aber wir haben weder Burg noch Burgwaffen, um die Raubschiffe fernzuhalten.« »Da müßt ihr eine machen«, sagte Friso. »Gut geraten«, sagten die Jutten, »aber wir haben keine Handwerksleute noch Bauzeug; wir sind alle Fischer und Jütter. Die anderen sind ertrunken oder nach den Hochlanden geflohen.«
Mittlerweile sie so redeten, kamen meine Boten mit den Seeländer Herren an seinen Hof. Hier müßt ihr Obacht geben, wie Friso alle hineinzulegen wußte, zur Zufriedenheit beider Parteien und zum Nutzen seines eigenen Zieles. Den Seeländern sagte er zu, sie würden jährlich fünfzig Schiffe haben, nach festen Maßen, ausgerüstet mit eisernen Ketten und Kranbogen und mit vollem Zeug, also es für Kriegsschiffe erforderlich und nötig sei; aber die Jutten sollten sie dann in Frieden lassen und alles Volk, das zu Fryas Kindern gehörte. Ja, er wollte mehr tun: er wollte alle unsere Seekämpen auffordern, mit ihnen zu gehen, um zu fechten und zu rauben.
[109] Als die Seeländer abgezogen waren, da ließ er vierzig alte Schiffe beladen mit Burgwaffen, Holz, hartgebackenen Steinen, Zimmerleuten, Maurern und Schmieden, um damit Burgen zu bauen. Witto, das ist Weiße, seinen Sohn, sandte er mit als Aufsicht. Was da vorgefallen ist, ist mir nicht berichtet. Aber so viel ist mir klar geworden, daß an beiden Seiten des Hafenmundes eine Trutzburg gebauet worden ist; darin ist Volk gelegt, das Friso aus den Sachsenmarken zog. Witto hat Sjuchhirte befreiet und zur Frau genommen. Wilhelm, so hieß ihr Vater: er war der oberste Aldermann der Jutten, das ist oberster Grevetmann oder Graf. Wilhelm ist kurz darnach gestorben und Witto an seiner Stelle gekoren.
Was Friso fürder tat
Von seiner ersten Frau hat er zwei Schwäger behalten, die sehr wacker waren. Hetto, das ist Heiße, den jüngsten, schickte er als Sendboten nach Kattaburg, das tief in den Sachsenmarken liegt. Er hatte von Friso mitbekommen sieben Rosse außer seinem eigenen, beladen mit köstlichen Sachen, durch die Seekämpen geraubt. Bei jedem Pferd waren zwei junge Seekämpen und zwei junge Reuter, mit reichen Gewändern bekleidet und mit Geld in ihren Beuteln. Wie er Hetto nach Kattaburg schickte, sandte er Bruno, das ist Braune, den anderen Schwager, nach Mannagarda Wrda (Ort). Mannagarda Wrda ist weiter in diesem Buche Mannagardaforda geschrieben: aber das ist fehl getan. Alle Reichtümer, die sie mit hatten, wurden den Umständen nach verschenkt an die Fürsten und Fürstinnen und die auserwählten Jungfrauen. Kamen seine Knaben auf die Dorfaue, um mit dem Jungvolk zu tanzen, so ließen sie Körbe mit Kräuterkuchen kommen und Tonnen des besten Bieres. Nach diesen Boten ließ er immer Jungvolk über die Sachsenmarken fahren, die alle Geld in ihren Beuteln hatten und alle Gaben oder Geschenke mitbrachten, und auf der Dorfaue verzehrten sie unbekümmert darauf los. Wenn es nun geschah, daß die Sachsenknaben neidisch darnach sahen, dann lachten sie gütlich und sagten: »Wenn du den gemeinen Feind zu bekämpfen wagst, so kannst du deiner Braut noch viel reichere Gaben geben und noch fürstlicher verzehren.«
[110] Alle beiden Schwäger Frisos sind mit Töchtern der ruhmreichsten Fürsten getraut, und nachdem kamen die Sachsenknaben und Mädchen in ganzen Haufen zu dem Flymeer hinunter.
Die Burgmaiden und alten Maiden, die noch von ihrer ehemaligen Größe wußten, neigten nicht dem Treiben Frisos zu: darum redeten sie von ihm nichts Gutes. Aber Friso, schlauer als sie, ließ sie schwatzen. Doch die jungen Maiden verleitete er mit goldenen Fingern zu seiner Sache. Sie sagten allum: »Wir haben länger keine Mutter mehr, aber das kommt, weil wir jährig sind. Heute geziemt uns ein König, damit wir unsere Lande wiedergewinnen, welche die Mütter verloren haben durch ihre Unsorgsamkeit.« Weiter kündeten sie: »Jedwedem Fryaskind ist Freiheit gegeben seine Stimme hören zu lassen, bevor zur Küre eines Fürsten geschritten wird. Aber wenn es dazu kommen möchte, daß ihr wieder einen König kiest, so will ich euch auch meine Meinung sagen. Nach allem, was ich schauen kann, ist Friso derjenige, der von Wralda erkoren ist: denn er hat ihn wunderlich hiergeführt. Friso kennt die Ränke der Golen, deren Sprache er spricht; er kann also wider ihre Listen wachen. Dann ist aber noch etwas zu erwägen: welchen Grafen sollte man zum König kiesen, ohne daß die anderen darob neidisch wären?« Derartige Redensarten wurden durch die jungen Maiden verbreitet; aber die alten Maiden, obgleich wenig an der Zahl, zapften ihre Reden aus einem anderen Fasse. Sie kündeten alleweg und jedwedem: »Friso«, so sagten sie, »macht es wie die Spinnen: des Nachts spannt er Netze nach allen Seiten und am Tage überrascht er seine nichts Arges wähnenden Freunde. Friso sagt, daß er keine Priester noch fremde Fürsten mag. Aber ich sage, er mag niemanden außer sich selbst. Darum will er nicht gewähren, daß die Burg Stavia wieder aufgerichtet wird. Darum will er keine Mutter wieder haben. Heute ist Friso euer Ratgeber, aber morgen will er euer König werden, damit er euch alle richten mag.«
In dem Innern des Volkes entstanden nun zwei Parteien. Die Alten und Armen wollten wieder eine Mutter haben, aber das Jungvolk, das voller Kampfeslust war, wollte einen Vater oder König haben. Die ersten nannten sich selber »Muttersöhne«, und die anderen nannten sich selber »Vatersöhne«. Aber die Muttersöhne wurden nicht beachtet. Denn dadurch, daß viele Schiffe [111]gemacht wurden, war hier Überfluß für die Schiffmacher, Schmiede, Segelmacher, Seildreher und für alle anderen Handwerksleute. Zudem brachten die Seekämpen allerhand Schmucksachen mit. Daran hatten die Weiber Vergnügen, die Maiden Vergnügen, die Mädchen Vergnügen, daran hatten alle ihre Magen und alle ihre Freunde Vergnügen.
Als Friso um die vierzig Jahre in Staveren gewirtschaftet hatte, starb er[3]. Durch seine Bemühungen hatte er viele Staaten wieder zueinander gebracht. Aber ob wir dadurch besser wurden, wage ich nicht zu bestätigen. Von allen Grafen, die vor ihm waren, ist niemand so bekannt gewesen wie Friso. Doch, wie ich vorher sagte, die jungen Maiden kündeten sein Lob, während die alten Maiden alles taten, um ihn zu ächten und verhaßt zu machen bei allen Menschen. Nun vermochten die alten Maiden ihn damit zwar nicht in seinen Bemühungen zu stören, aber sie haben mit ihrem Gebaren doch so viel ausgerichtet, daß er gestorben ist, ohne daß er König ward.