R6 Wirth

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    Teil II. Fortsetzung von Oera Lindas

    R. Apollania

    6. Beschreibungen
    Burg Ljudgarda
    Fahrt entlang des Rheins

    Wirth 1933

    [/86] Nun will ich selber schreiben, erst über meine Burg und dann über dasjenige, was ich habe sehen dürfen

    Meine Burg liegt an dem Nordende des Ljudgartens. Der Turm hat sechs Seiten. Dreimal dreißig Fuß ist er hoch, flach von oben; ein kleines Häuschen darauf, von wo man die Sterne betrachten kann. An jeder Seite des Turms steht ein Haus, lang dreihundert und breit dreimal sieben Fuß, gleich hoch, außer dem Dach, das rundlich ist: alle diese von hartgebakkenem Stein, und von außen sind keine anderen. Um die Burg ist ein Ringdeich und darum ein Graben, tief dreimal sieben und breit dreimal zwölf Fuß. Sieht jemand von dem Turm herab, so sieht er die Gestalt des Juls. Auf dem Grund zwischen den südlichen Häusern sind allerlei Kräuter von nah und fern: deren Kräfte müssen die Maiden lernen. Zwischen den nördlichen Häusern ist allein Feld. Die drei nördlichen Häuser sind voll Korn und anderem Behuf. Zwei südliche sind für die Maiden, um Schule zu halten und zu hausen. Das südlichste Haus ist das Heim der Burgmaid. In dem Turm hängt die Lampe. Die Wände des Turms sind geschmückt mit kostbaren Steinen[1]. Auf der Südwand ist der »Rat« (Fryas) geschrieben, an der rechten Seite findet man die Altlehre, an der linken Seite die Gesetze. Die anderen Sachen findet man auf den drei anderen Seiten. Gegen den Deich, bei dem Haus der Burgmaid, [87] steht der Ofen und die Mühle, von vier Ochsen gedreht. Außerhalb unseres Burgwalles ist das Hiem[2], auf dem die Burgherren und die Wehrer wohnen. Der Ringdeich darum ist eine Stunde groß, nicht eine Seemanns-, sondern eine Sonnenstunde, wovon zweimal zwölf auf eine Etmelde[3] entfallen. An der Innenseite des Teiches ist eine Platte, fünf Fuß unterhalb des Randes. Darauf sind dreihundert Kranbogen, zugedeckt mit Holz und Leder. Außer den Häusern der Einwohnenden sind darinnen, den Deich entlang, noch dreimal zwölf Nothäuser für die Umwohnenden. Das Feld dient als Lager und Weide.

    An der Südseite des äußersten Ringdeiches ist die Ljudgarde umzäunt von dem großen Lindawalde. Seine Gestalt ist dreihörnig, der breite Teil auswärts, damit die Sonne darin scheinen möge. Denn darin sind viele fremdländische, von unseren Seefahrern mitgebrachte Bäume und Blumen. So wie die Gestalt unserer Burg ist, sind alle anderen; jedoch unsere ist die größte. Aber die von Texland ist die allergrößte: der Turm von Fryasburg ist so hoch, daß er die Wolken reißt. Dem Turm entprechend ist alles andere.

    Bei uns auf der Burg ist alles so verteilt: sieben junge Maiden wachen bei der Lampe; eine jede Wache dauert drei Stunden. In der anderen Zeit müssen sie Hausarbeit verrichten, lernen und schlafen. Haben sie sieben Jahre gewacht, so sind sie frei. Sie dürfen dann unter die Menschen gehen, um auf ihre Sitten zu achten und Rat zu geben. Ist eine drei Jahre Maid gewesen, so mag sie zeitweise mit den älteren Maiden mitgehen.

    Der Schreiber muß die Mädchen lesen, schreiben und rechnen lehren. Die Greise oder Greva müssen sie lehren Recht und Pflicht, Sittenkunde, Kräuterkunde, Heilkunde, Geschichte, Erzählungen und Gesänge, nebst allerhand Dingen, die ihnen nützlich sind, um Rat zu erteilen. Die Burgmaid muß sie lehren, wie sie es bei den Menschen verwenden wollen. Ehe eine Burgmaid ihre Stelle antritt, soll sie durch das Land reisen ein volles Jahr. Drei Greva-Burgherren und drei Altmaiden gehen mit ihr mit. Also ist es auch mir gegangen.

    Meine Fahrt ist den Rhein entlang gewesen, dieses Ufer aufwärts, [88] die andere Seite entlang abwärts. Je höher ich hinaufkam, um so ärmlicher erschienen mir die Menschen. Überall in dem Rhein hatte man Ausleger[4] gemacht. Der Sand, der sich darin sammelte, wurde mit Wasser über Schafsfelle gegossen, um Gold zu gewinnen. Aber die Mädchen trugen davon keine goldenen Kronen[5]. Es waren ehemals deren mehr gewesen, aber seit wir Schonland verloren hatten, sind sie nach den Bergen gegangen. Dort schürfen sie Eisenerde, wovon sie Eisen machen.

    Oberhalb des Rheines, zwischen dem Gebirge, da habe ich Marsaten gesehen. Die Marsaten sind Menschen, die in den Maren[6] wohnen. Ihre Häuser sind auf Pfählen gebaut. Das ist wegen des wilden Getieres und der bösen Menschen. Da gibt es Wölfe, Bären und schwarze greuliche Löwen. Und sie sind die Stammnachbarn oder Angrenzenden der nahen Krekaländer[7], der Kelta-Anhänger und der verwilderten Twisker, alle gierig nach Raub und Beute. Die Marsaten erhalten sich mit Fischen und Jagen. Die Häute werden von den Frauen verarbeitet und zubereitet mit Rinde von Birken. Die kleinen Häute sind sehr weich, wie Frauenfilz. Die Burgmaid von Fryasburg sagte uns, daß sie gute, einfältige Menschen wären. Doch hätte ich sie dies nicht vorher sagen hören, so würde ich meinen, daß dieselben keine Fryas, sondern Wilde wären : so dreist sahen sie aus. Ihre Felle und Kräuter werden von den Rheinbewohnern eingehandelt und durch die Schiffe ausgeführt.

    Die andere Seite entlang war es desgleichen bis zur Lydasburg. Da war eine große Flete. Auf dieser Flete waren auch Menschen, die Häuser auf Pfählen hatten. Aber das war kein Fryas-Volk, sondern schwarze und braune Menschen, die als Ruderer gedient hatten, um den Außenfahrern nach Hause zu helfen. Sie mußten dort bleiben, bis die Flotte wieder wegzog.

    Zuletzt kamen wir nach dem Alderga. Am Südhafenkopf steht die Waraburg, ein Steinhaus; darin werden allerhand Muscheln, [89] jedwegliche Waffen und Kleider verwahrt, aus fernen Landen von den Seefahrern mitgebracht. Ein Viertel von dort ist das Alderga, eine große Flete, umrandet von Scheunen, Häusern und Gärten, alles reichlich geschmückt. Auf der Flete lag eine große Flotte bereit, mit Fahnen von allerhand Farben. Auf Fryastag hingen die Schilde um die Schiffsborde herum, welche blinkten wie die Sonne. Die Schilde des Weißkönigs und des Schultes-bei-Nacht waren mit Gold umbortet. Hinter der Flete war eine Gracht gegraben, welche von dort längs der Burg Forana und weiter mit einem engen Mund in die See auslief. Für die Flotte war dies der Ausgang und das Fly der Eingang. An beiden Seiten der Gracht sind schöne Häuser, mit hellblinkenden Farben bemalt. Die Gärten sind mit immergrünen Hagen umzäunt. Ich habe dort Frauen gesehen, die Filzgewänder trugen, als ob es Schreibfilz wäre. Wie zu Staveren, waren die Mädchen mit goldenen Kronen auf ihrem Haupte und mit Ringen an den Armen und Füßen geschmückt.

    Südlich von Forana liegt Alkmarum[8]. Alkmarum ist eine Mare oder Flete, darinnen eine Insel liegt: auf der Insel müssen die schwarzen und braunen Menschen verweilen, gleich wie zu Lydasburg. Die Burgmaid von Forana sagte mir, daß die Burgherren täglich zu ihnen gingen, um sie zu lehren, was echte Freiheit sei, und wie die Menschen in Minne leben sollten, um Segen von Wraldas Geist zu gewinnen. War einer dabei, der hören wollte und begreifen konnte, so wurde er dabehalten, bis er ausgelernt hatte. Das wurde getan, um die fernwohnenden Völker weise zu machen und um überall Freunde zu gewinnen. Ehedem war ich in den Sachsenmarken auf der Burg Mannagardaforda[9] gewesen. Doch da habe ich mehr Dürftigkeit gesehen als hier Reichtum. Sie antwortete : »So wenn da in den Sachsenmarken ein Freier kommt, um ein Mädchen zu freien, so fragen die Mädchen: Kannst du dein Haus freiwehren wider die geächteten Twiskländer? Hast du schon einen gefällt? Wieviel Wildochsen hast du schon gefangen, und wie viele Bären- und Wolfshäute hast du schon zu Markt gebracht?« Daher ist es gekommen, daß die Sachsmänner den Ackerbau den Frauen überlassen haben; daß von [90] hundert zusammen nicht einer lesen und schreiben kann. Daher ist es gekommen, daß niemand einen Spruch auf seinem Schilde hat, sondern bloß eine mißförmige Gestalt eines Tieres, das er gefällt hat. Und endlich ist es daher gekommen, daß sie sehr kriegerisch geworden sind, aber zumalen ebenso dumm sind wie das Getier, das sie fangen, und ebenso arm wie die Twiskländer, mit denen sie Krieg führen.

    Für Fryas Volk ist Erde und See geschaffen. Alle unsere Flüsse strömen in die See. Lydas Volk und Findas Volk werden einander vertilgen, und wir müssen die ledigen Lande bevölkern. In dem Hin- und Umfahren liegt unser Heil. Willst du nun, daß die Oberländer teilhaben an unserem Reichtum und unserer Weisheit, so werde ich dir einen Rat geben. Laßt es den Mädchen zur Gewohnheit werden, ihre Freier zu fragen, ehe sie »ja« sagen : »Wo bist du schon in der Welt umhergefahren? Was kannst du deinen Kindern erzählen von fernen Ländern und von den ferne wohnenden Völkern?«

    Tun sie also, dann werden die streitbaren Knaben zu uns kommen[10]. Sie werden weiser und reicher werden, und wir werden dieses schmutzigen Volkes[11] nicht weiter bedürfen.

    Die jüngste der Maiden, die bei mir waren, kam aus den Sachsmarken her. Als wir nun nach Hause kamen, hat sie Urlaub erbeten, um heimwärts zu gehen. Nachdem ist sie dort Burgmaid geworden, und daher ist es gekommen, daß heutzutage so viele Sachsmänner mit unseren Seeleuten fahren.

    Fußnoten

    1. Die Maße der Burganlage sowie die Kranbogen dürften bereits der sagenhaften Ausgestaltung der Überlieferung des frühen Mittelalters angehören. Die »kostbaren Steine« sind jedoch geschichtlich. Es handelt sich dabei nicht etwa um Edelsteine, sondern um die aus rotem Lehm gebrannten Steine, welche mit symbolischen Ornamenten geschmückt waren; vgl. Abbildung 213.
    2. Hiem, vgl. Anm. S. 82.
    3. etmelde = Tag und Nacht, 24 Stunden.
    4. Wahrscheinlich geflochtene Horden, eine Buhnenart.
    5. An Stelle des urgermanischen symbolischen Kopfschmuckes, des »Hauptbandes«, altfri. havedband, hafdband wird erst in nachchristlicher Zeit von den Römern die »corona« als Wort und Abzeichen übernommen.
    6. Fri. mar bedeutet »Teich«, »Sumpfsee«, »Wassergraben«.
    7. Italien.
    8. Alkmaar in Nordholland.
    9. Münster in Westfalen.
    10. d. h. nach Friesland.
    11. Dies bezieht sich auf die Hilfsruderer von den Mittelmeervölkern.

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