R4 Wirth

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    Teil II. Fortsetzung von Oera Lindas

    R. Apollania

    4. Auf dem Burgturm
    Älteste Lehre
    Wahnweisheitswarnung
    5. Nächstenhilfe

    Wirth 1933

    [39] Aus den Schriften von Adelbrost und Apollonia

    Die älteste Lehre, die geritzt ist auf die Außenwand der Burgtürme, ist nicht abgeschrieben in dem Buch der Adela-Folger. Warum dies unterblieben ist, weiß ich nicht zu schreiben. Doch dies Buch ist mein eigen: darum will ich diese darin setzen, meinen Magen zu Willen.

    Älteste Lehre

    Allen Gutes minnenden Fryaskindern sei Heil!

    Denn dadurch wird es selig werden auf Erden: lehre und künde den Völkern. –Wralda ist das Allerälteste und Überälteste, denn Es schuf alle Dinge. Wralda ist alles in allem, denn Es[1] ist ewig und unendlich. Wralda ist überall einwärtig, aber nirgends zu besehen: darum wird dies Wesen Geist geheißen. Alles, was wir von Ihm sehen können, sind die Geschöpfe, die durch sein Leben kommen und wieder hingehen : denn aus Wralda kommen alle Dinge und kehren alle Dinge wieder. Aus Wralda kommt der Anfang und das Ende, alle Dinge gehen in ihm auf. Wralda ist das eine allmächtige Wesen, denn alle andere Macht ist von ihm entliehen und kehret zu Ihm wieder. Aus Wralda kommen alle Kräfte, und alle Kräfte kehren zu Ihm zurück. Darum ist Er allein das schaffende Wesen, und da ist nichts geschaffen außer Ihm.

    Wralda legte ewige Satzungen, das sind Gesetze, in all das Geschaffene, und es gibt keine guten Gesetze, sie seien denn danach [40] gebildet. Aber obschon alles in Wralda ist, die Bosheit des Menschen ist nicht in Ihm. Bosheit kommt durch Trägheit, Unachtsamkeit und Dummheit.

    Wralda ist die Weisheit, und die Gesetze, die sie geschaffen hat, sind die Bücher, aus denen wir lernen können, und es ist keine Weisheit zu finden noch zu sammeln außer dieser. Die Menschen können viele Dinge sehen, aber Wralda sieht alle Dinge. Die Menschen können viele Dinge erschließen, aber für Wralda ist alles geöffnet. Die Menschen sind männlich und gebährlich[2], aber Wralda schuf beide. Die Menschen minnen und hassen, aber Wralda ist allein gerecht. Darum ist Wralda allein gut, und es gibt nichts Gutes außer Ihm.

    Mit dem Jul wandelt und wechselt alles Geschaffene, aber das Gute ist allein unveränderlich. Dadurch, daß Wralda gut ist, kann Er auch nicht verändern, und weil Er bleibt, darum ist Er allein Wesen und alles andere ist Schein.

    Der zweite Teil der ältesten Lehre

    Unter Findas Volk gibt es Wahnweise, die durch Überfindigkeit so arg geworden sind, daß sie sich selber weismachen und die Eingeweihten überzeugen, daß sie der beste Teil des Geistes Wraldas sind und daß Wralda allein vermag zu denken durch Hilfe ihres Gehirnes.

    Daß jedes Geschöpf ein Teil von Wraldas unendlichem Wesen ist, das haben sie von uns ergafft.

    Aber ihre falschen Reden und ihre zügellose Hochfährtigkeit haben sie auf einen Irrweg gebracht. Wäre ihr Geist Wraldas Geist, so würde Wralda ganz dumm sein, statt licht und weise. Denn ihr Geist müht sich immer ab, um schöne Bilder zu machen, welche sie später anbeten. Aber Findas Volk ist ein arges Volk, denn obschon die Wahnweisen sich selbst weismachen, daß sie Götter seien, so haben sie für die Uneingeweihten falsche Götter geschaffen, um alleweg zu verkünden, daß diese Götter die Welt geschaffen haben, mit allem, was darin ist, gierige Götter, voll Neid und Zorn, welche geehrt und gedienet sein wollen von den Menschen, die Blut und Opfer wollen und Schatzung heischen. [41] Aber diese wahnweisen falschen Männer, die sich selber Gottesschalke[3] oder Priester nennen lassen, erheben, sammeln und raffen alles für die Götter, die nicht da sind, um es selber zu behalten. Alles das betreiben sie mit weitem Gewissen: weil sie sich selber Götter wähnen, die niemandem Verantwortung schuldig sind.

    Sind da welche, die ihre Ränke ahnen und offenkundig machen, so werben sie von ihren Rackern gefaßt und um ihrer Lästerung verbrannt, alles mit vielen feierlichen Gepflogenheiten, ihren falschen Göttern zu Ehren.

    Aber in Wahrheit, damit sie ihnen nicht schaden sollen[4].

    * * *

    Damit unsere Kinder gewappnet sein mögen gegen ihre abgöttische Lehre, sollen die Maiden sie auswendig lernen lassen, was hier folgen wird:

    Wralda war eher als alle Dinge, und nach allen Dingen wird Er sein. Wralda ist also ewig, und Er ist unendlich, darum ist nichts außer Ihm. Durch und aus Wraldas Leben wurde Zeit und alle Dinge geboren, und Sein Leben nimmt die Zeit und alle Dinge weg.

    Diese Sachen müssen klar und offenkundig gemacht werden auf alle Weise, so daß sie es auch anderen bedeuten und beweisen können. Ist es nun soweit gewonnen, dann sage man fürder:

    Was also unseren Umfang betrifft, sind wir ein Teil von Wraldas unendlichem Wesen, wie der Umfang alles Geschaffenen; doch was unsere Gestalt angeht, unsere Eigenschaften, unseren Geist und alle unsere Bedenkungen, diese gehören nicht zu dem Wesen. Dies alles sind flüchtige Dinge, die durch Wraldas Leben erscheinen, doch durch Seine Weisheit dergestalt und nicht anders erscheinen. Aber weil Sein Leben stetig weitergeht, kann nichts an seiner Stätte bleiben. Darum verwechseln alle geschaffenen Dinge ihre Stätte, Gestalt und auch ihre Denkweise. Darum darf Irtha (Erde) selbst noch irgendein Geschöpf sagen: »ich bin«, aber wohl: »ich war«. Auch soll kein Mensch sagen: »ich denke«, sondern bloß: »ich dacht«.

    [42] Der Knabe ist größer und anders, als da er ein Kind war. Er hat anderes Begehren, andere Sucht und Denkweise. Der Mann und Vater ist und denkt anders, als da er ein Knabe war. Desgleichen die Altbetagten. Das weiß ein jeder.

    So wenn ein jeder nun weiß und gestehen muß, daß er allein wechselt, so muß er auch dazu gestehen, daß er jeden Augenblick wechselt, auch dieweil er sagt: »ich bin«, und daß seine Gedankenbilder wechseln, dieweil er sagt: »ich denke«.

    Anstatt daß wir den argen Findas dermaßen unwürdig nachschwatzen und reden »ich bin« oder gar »ich bin der beste Teil Wraldas, ja durch uns allein vermag Er zu denken«, so wollen wir künden überall und allewege, wo es nötig sei:

    Wir, Fryas Kinder, sind Erscheinungen durch Wraldas Leben, beim Anfang gering und bloß, doch immer werdend und näherend der Vollkommenheit, sonder je so gut zu werden als Wralda selber. Unser Geist ist nicht Wraldas Geist; er ist hiervon allein ein Abschein.

    Da Wralda uns schuf, hat Er uns in Seiner Weisheit Hirn, Sinne, Gedächtnis und viele gute Eigenschaften verliehen. Hiermit können wir Seine Geschöpfe und Seine Gesetze betrachten. Davon können wir lernen und darüber können wir reden, alles und allein zu unserem eigenen Heil. Hätte Wralda uns keine Sinne gegeben, so würden wir von nichts wissen, und wir würden noch hilfloser sein als eine Seequalle, die fortgetrieben wird durch Ebbe und durch Flut.

    Dies steht auf Schreibfilz geschrieben: Rede und Antwort den anderen Maiden zu einem Vorbilde.

    Ein ungeselliger geiziger Mann kam zu Trost, die Maid war zu Stavia, um sich zu beklagen. Er sagte, Unwetter hätte sein Haus weggeführt. Er hätte zu Wralda gebetet, aber Wralda hätte ihm keine Hilfe verliehen. »Bist du ein echter Fryas«, fragte Trost. »Von Eltern auf Eltern«, antwortete der Mann. »Dann«, sagte sie, »will ich etwas in dein Gemüt säen, im Vertrauen, daß es keimen, wachsen und Früchte tragen mag.« Fürder sprach sie und sagte: »Als Frya geboren ward, stand unsere Mutter da, nackt [43] und bloß, ungeschützt gegen die Strahlen der Sonne. Da erwirkte Wralda in ihrem Gemüte Neigung und Liebe, Angst und Schrecken. Sie sah um sich: ihre Neigung wählte das Beste und sie suchte Schutz unter der schirmenden Linde. Aber Regen kam, und sie wurde naß. Jedoch hatte sie gesehen, wie das Wasser an den Blättern herabträufelte. Nun machte sie ein Dach mit abhängenden Seiten, auf Staken machte sie das. Aber Sturmwind kam und blies den Regen darunter. Nun hatte sie gesehen, daß der Stamm Schutz gab. Demnach ging sie hin und machte eine Wand von Schollen und Soden, erst an einer Seite und fürder an allen Seiten. Sturmwind kam zurück, wütender als bevor, und blies das Dach weg. Doch sie klagte nicht über Wralda noch wider Wralda, sondern sie machte ein Röhrichtdach und legte Steine darauf. Als sie befand, wie hart es ist, sich allein plagen zu müssen, bedeutete sie ihren Kindern, wie und weshalb sie es getan hätte. Die wirkten und dachten zusammen. Auf solche Weise sind wir zu einem Hause mit einer schützenden Linde wider die Sonnenstrahlen gekommen. Zuletzt haben sie eine Burg gemacht und fürder alles andere.

    Ist dein Haus nicht stark genug gewesen, so mußt du versuchen, es besser zu machen.«

    »Mein Haus war stark genug«, sagte er, »aber das hohe Wasser hat es aufgehoben und Sturmwind hat das andere getan.« »Wo stand dein Haus dann«, fragte Trost. »Längs des Rheines«, sagte der Mann. »Stand es dann nicht auf einem Nol oder einer Terp«, fragte Trost. »Nein«, sagte er, »mein Haus stand einsam am Ufer; allein habe ich es gebaut, aber ich konnte allein dort keine Terp machen.« »Ich wußte es wohl«, sagte Trost, »die Maiden haben es mir berichtet. Du hast all dein Leben einen Widerwillen gegen die Menschen gehabt, aus Furcht, daß du etwas geben oder für sie tun müßtest. Doch damit kann man nicht weit kommen. Denn Wralda, der mild ist, kehret sich von den Geizigen ab. Festa hat es uns geraten und über den Toren aller Burgen steht es geschrieben: ‘Bist du arg nutzbedacht’, sagte Festa, ‘behüte dann deine Nächsten, hilf dann deinen Nächsten, so werden sie es wieder tun.’ – Ist dieser Rat nicht genug, ich weiß für dich keinen besseren.«

    Schamrot ward der Mann und er zog still von dannen.

    Fußnoten

    1. Wralda is ella in ella, hwand thet is êvg and unendlik. Hier erscheint der Name des Weltengeistes als Abstraktum noch als Neutrum, sächlich, wie das vorchristliche germanische »Gott«, das auch im Altnordischen noch sächlich war und erst durch die Christianisierung orientalisch-mediterran »männlich« wurde. Das weitere hi (»er«) im Text erweist daher die Hand der späteren Abschreiber.
    2. Weiblich.
    3. Gottesknechte.
    4. Hier spricht der friesische Humanist, der Schreiber von Kodex C, mit, unter Eindruck der Glaubensverfolgungen durch die spanische Inquisition.

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