PR1 Wirth
Teil II. Fortsetzung von Oera Lindas
R. Apollania
- 1. Adelbund
- 2. Schriften Brunnos
- 3. Der Burgmaid Lob
Wirth 1933
[/79] Mein Name ist Adelbrost, Sohn von Apol und Adela. Durch mein Volk bin ich gekoren zum Grevetmann über die Linda-Orte. Darum will ich dieses Buch fortsetzen auf die Weise, wie meine Mutter gesprochen hat.
Nachdem der Magy erschlagen und Fryasburg wiederhergestellt war, sollte eine Mutter gekoren werden. Bei ihrem Leben hatte die Mutter keine Nachfolgerin ernannt. Ihr letzter Wille war weg und nirgends zu finden. Sieben Monate später wurde eine gemeine Acht belegt, und zwar zu Grenega[1], aus dem Grunde, weil es an die Sachsenmarken grenzt. Meine Mutter wurde gekoren, aber sie wollte nicht Mutter sein. Sie hatte das Leben meines Vaters gerettet: dadurch hatten sie einander liebgewonnen und wollten nun Gatten werden. Viele wollten meine Mutter von ihrem Beschlusse abbringen. Aber meine Mutter sagte: »Eine Ehrenmutter soll also rein in ihrem Gemüt sein, als sie äußerlich [80] erscheint und gleich mild für alle ihre Kinder. Nachdemmalen ich Apol nun lieb habe über alles in der Welt, so kann ich eine solche Mutter nicht sein.«
So sprach und redete Adela; aber die anderen Burgmaiden wollten allesamt Mutter sein. Jedweder Staat dingte für seine eigene Maid und wollte nicht zurückstehen. Dadurch ist keine gekoren worden, und das Reich wurde ohne Zusammenhalt. Aus dem folgenden möget ihr es begreifen.
Ljudgert, der König, der heutigentages verschieden ist, war beim Leben der Mutter gekoren, anscheinend durch alle Staaten mit Liebe und Zutrauen. Es war seine Reihe, um auf dem großen Hof zu Dokhem zu hausen; und bei dem Leben der Mutter ward ihm dort große Ehre bewiesen. Denn es war dort immer voll von Boten und Reutern von nahe und fern, wie man es nie zuvor gesehen hat. Doch nun war er einsam und verlassen, denn ein jeder befürchtete, daß er sich rechtswidrig zum Herrn machen könnte und herrschen wie die Sklavenkönige. Jeder Häuptling wähnte fürder, daß er genug tat, wenn er über seinen eigenen Staat wachte; und der eine gab dem anderen nicht nach.
Mit den Burgmaiden war es noch schlimmer bestellt. Jedwede rühmte sich der eigenen Weisheit, und wenn die Grevetmänner etwas taten ohne sie, so erwirkten sie Mißtrauen zwischen ihm und seinem Volke. Geschah eine Sache, die viele Staaten betraf, und hatte man den Rat einer Maid eingeholt, so riefen die anderen, daß sie gesprochen hätte zum Nutzen ihres eigenen Staates. Durch solche Ränke brachten sie Zwiespalt über die Staaten und lockerten sie die Banden dermaßen, daß das Volk des einen Staates neidisch wurde auf das Volk des anderen Staates und es mindestens als Fremde betrachtete. Der Nutzen davon ist gewesen, daß die Golen oder Trowyden uns all das Land abgewonnen haben bis zur Schelde und der Magy bis zur Weser. Wie es hierbei zugegangen ist, hat meine Mutter dargelegt; sonst wäre dies Buch nicht geschrieben worden, obgleich ich alle Hoffnung verloren habe, daß es noch frommen wird. Ich schreibe also nicht in dem Wahne, daß ich dadurch das Land werde gewinnen oder behalten. Das ist meines Erachtens untunlich. Ich schreibe allein für das nachkommende Geschlecht, auf daß sie allesamt [81] wissen mögen, auf welche Art und Weise wir zugrunde gingen, und damit ein jeder daraus lernen möge, daß alles Übel seine Buße zeugt.
Man hat mich Apollonia geheißen. Zweimal dreißig Tage nach dem Tode meiner Mutter hat man Adelbrost, meinen Bruder, erschlagen gefunden auf der Werft, sein Haupt gespalten und seine Glieder auseinandergerissen. Mein Vater, der siech daniederlag, ist vor Schrecken gestorben. Da ist Apol, mein jüngerer Bruder, von hier nach der Westseite von Schonland gefahren. Dort hat er eine Burg gebaut, Lindasburch geheißen, um von da unser Leid zu rächen. Wralda hat ihm dazu viele Jahre verliehen. Er hat fünf Söhne gewonnen: allesamt bringen sie dem Magy Schrecken und meinem Bruder Freuden. Nach dem Tode meiner Mutter und meines Bruders sind die Wackersten aus dem Lande zusammengekommen: sie haben einen Bund geschlossen, Adelbund geheißen. Auf daß uns kein Leid widerfahren sollte, haben sie mich und Adelhirt, meinen jüngsten Bruder, auf die Burg gebracht, mich zu den Maiden und meinen Bruder zu den Wehren. Als ich dreißig Jahre alt war, hat man mich zur Burgmaid gekoren, und als mein Bruder fünfzig war, wurde er zum Grevetmann gekoren. Von Mutters Seite war mein Bruder der sechste, aber von Vaters Seite der dritte. Nach Recht dürfen also seine Nachfahren nicht Overa Linda (Über die Linden) hinter ihrem Namen führen[2], aber ein jeder wollte es haben, meiner Mutter zu Ehren. Überdies hat man uns auch eine Abschrift gegeben von dem Buche der Folger Adelas. Darob freue ich mich am meisten, denn durch die Weisheit meiner Mutter kam es in die Welt. In der Burg habe ich noch andere Schriften gefunden, die nicht in dem Buche stehen, auch Lobreden auf meine Mutter. Von allen diesen will ich nachher schreiben.
[82] Dies sind die nachgelassenen Schriften Brunnos, der Schreiber gewesen ist auf dieser Burg
Nachdem die Folger Adelas alles hatten abschreiben lassen, ein jeder in seinem Reiche, was auf den Wänden der Burg geschrieben war, beschlossen sie, eine Mutter zu kiesen. Dazu war eine gemeine Acht belegt auf diesem Hiem[3]. Nach dem Rate Adelas wurde Tüntja empfohlen. Sie würde auch Erfolg gehabt haben. Doch da erbat meine Burgmaid das Wort. Sie hatte immer gewähnt, daß sie Mutter werden sollte, aus dem Grunde, daß sie hier auf der Burg saß, von der meist alle Mütter gekoren waren. Als ihr das Wort vergönnt wurde, öffnete sie ihre falschen Lippen und sprach: »Ihr alle scheint Adelas Rat großen Wert beizumessen. Das wird darum meinen Mund nicht schließen noch schnüren. Wer ist doch Adela, und woher kommt es, daß ihr ihr solch hohes Lob spendet? Gleich mir heutzutage, ist sie zuvor hier Burgmaid gewesen. Doch ist sie darum weiser und besser als ich und alle anderen? Oder hält sie mehr auf unsere Sitten und Bräuche? Wäre dies der Fall, so würde sie wohl Mutter geworden sein, als sie dazu gekoren war. Aber nein, sie wollte lieber eine Ehe haben mit aller Wonne und Lust, die damit verbunben ist, anstatt einsam über sich und das Volk zu wachen. Sie ist klarsehend. Gut! Aber meine Augen sind weit davon entfernt, verdunkelt zu sein. Ich habe gesehen, daß sie ihren Friedel sehr minnte. Nun gut, das ist löblich. Aber ich habe fürder gesehen, daß Tüntja die Nichte Apols ist. Weiter will ich nichts sagen.«
[83] Die Fürnehmsten begriffen sehr wohl, wo sie Luv suchte[4]. Aber unter das Volk kam Zwiespalt, und sintemal die Mehrheit von hier kam, wollte sie Tüntja die Ehre nicht gönnen. Reden wurden geendet, die Messer aus der Scheide gezogen, aber da ward keine Mutter gekoren. Kurz darnach hatte einer unserer Boten seinen Gefährten gefällt. Bis heutzutag war er tüchtig gewesen, darum hat meine Burgmaid Urlaub, ihm aus den Landpfählen zu helfen. Doch anstatt ihm zu helfen, nach dem Twiskland zu entkommen, floh sie selber mit ihm über die Weser und fürder zu dem Magy. Der Magy, der seinen Fryassöhnen gefallen wollte, bestellte sie als Mutter auf Godaburg und Schonland. Aber sie wollte mehr. Sie sagte ihm, daß, so er Adela beiseiteschaffen könnte, er Herr werden sollte über das ganze Fryasland. Sie wäre eine Feindin Adelas, sagte sie, denn durch ihre Ränke wäre sie keine Mutter geworden. So wenn er ihr Texland zusprechen wollte, würde ihr Bote seinen Kriegern als Wegweiser dienen. Alle diese Sachen hat ihr Bote selber gestanden.
Die andere Schrift
Fünfzehn Monate nach der letzten Acht war Freundschafts- oder Winnemonat. Ein jeder gab sich der lustigen Freudigkeit hin, und niemand hatte andere Sorge, als sein Vergnügen zu mehren. Doch Wralda wollte uns zeigen, daß Wachsamkeit nicht vernachlässigt werden darf. Inmitten des Festefeierns kam der Nebel und hüllte unsere Orte in dichte Dunkelheit ein. Das Vergnügen floh dahin, aber die Wachsamkeit wollte nicht zurückkehren. Die Strandwächter waren von ihren Notfeuern weggelaufen, und auf den Zugangspfaden war niemand zu sehen. Als der Nebel hinwegzog, drang die Sonne durch die Wolkenspalten auf die Erde. Ein jeder kam zurück, um zu jauchzen und zu johlen: das junge Volk zog singend mit dem Maienbaum umher, und dieser erfüllte die Luft mit seinem lieblichen Geruch.
Aber dieweilen sich ein jeder in Vergnügen badete, war Verrat gelandet mit Rossen und Reutern. Gleich allen Bösen, wurde ihnen von der Finsternis geholfen, und sie waren hereingeschlüpft durch die Pfade des Lindenwaldes. Vor Adelas Türe zogen zwölf [84] Mädchen mit zwölf Lämmern und zwölf Knaben mit zwölf Kälbern[5]; ein junger Saxmann beritt einen wilden Bullen, den er selber gefangen und gezähmt hatte. Mit allerhand Blumen waren sie geziert, und die leinenen Obergewänder der Mädchen waren umbordet mit Gold aus dem Rhein[6].
Als Adela von ihrem Hause auf den Weg kam, fiel ein Blumenregen auf ihr Haupt nieder; alles jauchzte laut, und die Tuthörner der Knaben gellten über alles hinaus. Arme Adela, armes Volk, wie kurz sollte die Freude hier weilen. Als die lange Schar den Blicken entschwunden war, kam eine Horde Magjaren-Reuter schnurgerade auf Adelas Hiem losgerannt. Ihr Vater und ihr Gatte saßen auf der Stufenbank. Die Türe stand offen, und drinnen stand Adelbrost, ihr Sohn. Als er sah, in welcher Gefahr seine Eltern waren, griff er seinen Bogen von der Wand und schoß nach dem vordersten der Räuber. Dieser wankte und taumelte nieder ins Gras. Dem zweiten und dem dritten war ein gleiches Los beschert. Inzwischen hatten seine Eltern ihre Waffen ergriffen und zogen unbesorgt ihnen entgegen. Sie wären bald von den Räubern gefangen worden, aber da kam Adela. Auf der Burg hatte sie gelernt, alle Waffen zu führen; sieben Erdfüße war sie lang, und ihr Schwert gleich lang[7]. Dreimal schwang sie es, und als es niederkam war ein Reuter grasfällig.
Gefolgsleute kamen um die Ecke des Feldweges heran. Die Räuber wurden gefällt oder gefangen. Doch zu spät. Ein Pfeil hatte ihren Busen getroffen. Verräterischer Magy. In Gift war seine Spitze getaucht, und darob ist sie gestorben.
Der Burgmaid Lob
Ja, fernbeheimateter Freund, Tausende sind schon gekommen und noch mehr sind unterwegs.
[85] Wohl, sie wollen Adelas Weisheit hören.
Gewiß ist sie eine Fürstin, denn sie ist immer die fürderste gewesen.
O weh, wozu sollte sie dienen? Ihr Hemd ist von Leinen, ihr Übergewand von Wolle, die sie selber spann und webte. Womit würde sie ihre Schönheit erhöhen? Nicht mit Perlen, denn ihre Zähne sind weißer[8]; nicht mit Gold, denn ihr Haar ist leuchtender; nicht mit Steinen. Wohl sind ihre, Augen sanft als Lammesaugen, doch zugleich so glastend, daß man darin mit Scheu nur sehen konnte.
Jedoch was rede ich von schön? Ja, Freund, Frya, die sieben Schönheiten besaß, deren ihre Töchter jede eine aber höchstens dreie geerbt haben, Frya war gewiß nicht schöner. Aber wäre sie häßlich gewesen, doch würde sie uns teuer sein.
Ob sie reckenhaft war? Lausche, Freund, Adela ist das einzige Kind unseres Grevetmannes. Sieben Erdfüße ist sie hoch, noch größer als ihr Leib ist ihre Weisheit, und ihr Mut ist gleich beiden zusammen.
Lug hier, da war einmal ein Fennbrand. Drei Kinder waren auf jenen Grabstein gesprungen. Wind blies scharf. Jedweder schrie, und die Mütter waren ratlos. Da kommt Adela. »Was steht und zaudert ihr«, ruft sie, »versucht Hilfe zu bringen, und Wralda wird euch Kräfte geben.« Da läuft sie nach dem Krylwald, ergreift Gesträuch, versucht eine Brücke zu machen. Nun helfen auch die anderen, und die Kinder sind gerettet.
Jährlich kamen die Kinder hier, um Blumen niederzulegen. Da kamen drei phönizische Schiffsleute, die an ihnen freveln wollten. Aber Adela eilte hinzu: sie hatte ihr Schreien gehört. In Ohnmacht schlug sie die Übeltäter, und damit sie es selber gestehen sollten, daß sie unwürdige Männer wären, band sie sie allesamt [86] an einem Spinnrocken fest. Die fremden Herren kamen und forderten ihr Volk zurück. Als sie sahen, wie ihnen mitgespielt worden war, stieg der -Zorn bei ihnen hoch. Doch man erzählte ihnen, wie es sich zugetragen hatte. Was sie fürder taten? Sie beugten sich vor Adela und küßten den Saum ihres Übergewandes.
Komm, weitab wohnender Freund, die Waldvögel fliehen vor den vielen Besuchern. Komm, Freund, so darfst du ihre Weisheit hören.
Fußnoten
- ↑ Groningen.
- ↑ Wie in den Islandsagas, führt das Geschlecht den Namen des Hofsitzes.
- ↑ Das altfriesische hem, him, heme bedeutet allgemein »eingehegter Raum«, später »Grundstück, Hausstätte«.
- ↑ Die Luvseite ist die Windseite; die der Seemannssprache entnommene Wendung besagt also: man wußte bei ihr, woher der Wind wehte.
- ↑ hoklinga = einjährige Kälber.
- ↑ Das tohneka genannte Obergewand möchte Ottema nicht von dem lateinischen tunica ableiten, sondern als Zusammenstellung von to = »zu« und hnekka = »Nacken, Hals« betrachten, also »ein bis zum Hals reichendes Gewand«.
- ↑ Mittelalterliche Herkunft dürfte die Bezeichnung der »Reuter« als »Ritter«, sowie das Zweihänderschwert der Adela und die sagenhaft anmutenden Maße ihrer Gestalt sein.
- ↑ Das altfriesische, althochdeutsche per(e)la, perala ist entlehnt aus dem frühmittelalt. perula. Da es sich nicht um die altgermanischen Bernsteinperlen oder Glasfluß- oder Emailleperlen handelt, ist dieser Vergleich auf Rechnung des Schreibers von Codex C zu setzen, wenn nicht von D. Der blumige Stil erinnert an die Beschreibung der drei Stammütter der Menschheit und dürfte aus derselben Feder geflossen sein. Aber auch hier wurde Echtes, Altes verarbeitet, sagenhafte Motive von der verehrten und geliebten Gestalt der Adela: dies geht auch aus den mythischen Anklängen hervor, z. B. den »sieben Schönheiten Fryas«, der »sieben Erdfüße« messenden Größe der Adela.