D Wirth
Teil I. Buch der Adela-Anhänger
D. Auf drei Burgen
Wirth 1933
[Erklärungen Wirths werden hier in kleinerer Schrift angezeigt]
[15]
- Die ganze Einleitung zu dem sogenannten »Fryas Tex« trägt innerlich wie äußerlich die Merkmale späterer Erweiterung eines ursprünglichen kleinen Kernes, der wahrscheinlich nur die schlichte erhabene Kosmogonie des arischen Urglaubens enthielt, der wir noch mehrfach begegnen werden: Gott, der Weltgeist, aus dem der Anfang, die Zeit hervorging, welche alle Dinge schuf; das Eintreten von »Od« bzw. (Gottes Odem) zu Irtha (die Erde) als der eigentliche Schöpfungsvorgang.
- Die wundertätige Offenbarung der vom Himmel herabgesandten »Ältesten Geschichte«, die Schilderung der drei Stammütter der Menschenrassen, die Entrückung der Frya, mutet teilweise wenig alt an, steht in schroffem Widerspruche, in Form und Stil wie gedanklich, zu dem weiteren Inhalt der Handschrift und zeigt deutlich spätere Beeinflussung einer älteren, schlichteren Überlieferung. Die Erzählung, wie Frya, die Stammutter der nordischen Rasse, von ihrem Wachstern herab der ersten Volks- oder Ehrenmutter Festa die »älteste Geschichte« offenbart habe, wurde von mir in der Übersetzung mit aufgenommen, da trotz der sichtbaren Züge späterer Bearbeitung die Bruchstücke einer älteren Fassung sich nicht verkennen lassen.
- Die »älteste Geschichte«, die Darstellung der drei Stammütter der Menschheit, deren rhetorischer Stil die Feder des friesisch-humanistischen Bearbeiters verrät, wurde von mir stark gekürzt.
Aus dem Buche der Folger Adelas
Dies stand auf den Wänden der Fryasburg zu Texland geschrieben; dies steht auch zu Stavia und zu Medeasblik.
Es war Fryastag, und zur Stund war es sieben mal sieben Jahre her, daß Festa als Volksmutter nach Fryas Begehren eingesetzt worden war. Die Burg Medeasblik war vollendet und eine Maid gekoren worden. Nun sollte Festa ihre neue Lampe anzünden; und als sie das getan hatte in Anwesenheit des Volkes, da rief Frya von ihrem Wachstern, so daß ein jeder es zu hören vermochte: »Festa, nimm deinen Stift und schreibe die Dinge, die ich nicht sagen konnte.« Festa tat, also ihr geboten war.
So sind wir, Fryas Kinder, zu unserer ältesten Geschichte gekommen.
[16] Dies ist unsere Älteste Geschichte
Wralda, der allein gut und ewig ist, machte den Anfang, dann kam die Zeit; die Zeit schuf alle Dinge, auch die Erde (Irtha). Irtha gebar alle Gräser, Kräuter, Bäume, all das liebe und all das arge Getier. Alles, was gut und lieblich ist, brachte sie am Tage und alles, was übel und arg ist, brachte sie zur Nachtzeit hervor. Nach dem zwölften Julfest gebar sie drei Maide:
Lyda ward aus glühendem,
Finda ward aus heißem und
Frya aus warmem Staube.
Da sie bloß kamen, speiste Wralda sie mit seinem Odem. [Teil übersprungen] Od (Gottes Odem) trat zu ihnen ein und nun gebar jede zwölf Söhne und zwölf Töchter, eine jegliche Julzeit zween. Davon sind alle Menschen gekommen.
Lyda war schwarz, kraushaarig als wie die Lämmer; gleich Sternen blinkten ihre Augen, ja des Geiervogels Blicke waren machtlos neben den ihren.
[Teil übersprungen]
Von Gesetzen wollte sie nichts wissen: ihre Taten wurden von ihren Leidenschaften gelenkt.
[Teil übersprungen]
Finda war gelb und ihr Haar glich den Mähnen eines Rosses. [Teil übersprungen] Sie schrieb tausende Gesetze, doch sie befolgte nicht eines davon. Sie verabscheute die Guten um ihres Freimutes willen, doch den Schmeichlerinnen gab sie sich selber fast fort. [Teil übersprungen] Honigsüß waren ihre Worte, doch dem, der ihnen traute, war Unglück nah. [Teil übersprungen] Über alle wollte sie herrschen und ihre Söhne waren ihr gleich; deren Schwestern dienten ihnen und einander schlugen sie (die Söhne) um die Herrschaft tot. [Teil übersprungen]
Frya war weiß gleich Schnee im Morgenrot, und das Blau ihrer Augen überwand das des Regenbogens.
[...] Wie die Strahlen der Mittagsonne glänzten ihre Haare, die so fein waren wie Spinngewebe.
[...]
[...] Ihre Speise war Honig und ihr Getränk war Tau, gesammelt aus den Blüten der Blumen.
Lichte Frya. Das erste, was sie ihre Kinder lehrte, war Selbstzucht; das andere war Liebe zur Tugend; und als sie jährig geworden, da lehrte sie sie den Wert der Freiheit kennen. »Denn«, sagte sie, »ohne Freiheit sind alle anderen Tugenden allein gut, um euch zu Sklaven zu machen, eurer Herkunft zu ewiger Schande.«
[17] Milde Frya. Nimmer ließ sie Erz aus der Erde schürfen um Eigennutz, sondern wenn sie es tat, war es zu jedermanns Nutze.
Glücklichste Frya. [...]
[...] Als sie ihre Kinder aufgezogen bis ins siebente Knie[1], da rief sie alle nach Flyland. Dort gab sie ihnen ihren Rat (Tex) und sagte: »Laßt diesen euren Wegweiser sein, so wird es euch niemals übel ergehen.«
[...]
Fryas Rat
Heil harret der Freien. Zuletzt werden sie mich wiedersehen. Doch nur den allein mag ich als Freien anzuerkennen, der kein Sklave ist eines anderen, noch seiner eigenen Leidenschaften. Hier ist mein Rat.
1. So wenn die Not arg ist und guter Rat und gute Tat nichts mehr vermögen, rufe dann den Geist Wraldas an. Aber ihr sollt ihn nicht anrufen, bevor alle Dinge versucht sind. Doch ich sage euch mit Grund und die Zeit wird es wahr machen: Die Mutlosen werden immer erliegen unter ihrem eigenen Leide.
[18] 2. Wraldas Geist soll man nur kniebeugend Dank weihen, ja drei mal für das, was ihr von Ihm genossen habt, für das, was ihr genießt, und für die Hoffnung, die Er euch läßt in bangen Zeiten.
3. Ihr habt gesehen, wie bald ich Hilfe verlieh. Tut also desgleichen mit eurem Nächsten. Aber zaudert nicht, bis man euch gebeten hat. Die Leidenden würden euch fluchen, meine Maiden würden euren Namen auslöschen aus dem Buch und ich würde euch gleich Unbekannten abweisen müssen.
4. Nehmt nimmer kniebeugend Dank von eurem Nächsten an: solches gehört dem Geiste Wraldas. Neid würde euch bekriechen, Weisheit würde euch verlachen und meine Maiden würden euch des Vaterraubes bezichtigen.
5. Vier Dinge sind zu eurem Nutzen gegeben, mit Namen Luft, Wasser, Land und Feuer. Aber Wralda will deren alleiniger Besitzer sein. Darum rate ich euch, ihr sollet euch gerechte Männer kiesen, die die Arbeit und die Früchte nach Recht teilen, so daß niemand frei von Werken noch von Wehren sei.
6. So wenn da unter euch einer gefunden wird, der seine eigene Freiheit verkauft, der ist nicht von eurem Volke: er ist ein Horning1 mit Mischblut. Ich rate euch, daß ihr ihn und seine Mutter aus dem Lande austreibt. Sagt das euren Kindern des Morgens, des Mittags und des Abends, bis sie davon träumen des Nachts.
7. Jedweder, der einen anderen seiner Freiheit beraubt – und wäre der andere ihm schuldig –muß sich am Kindzaum einer Sklavin führen lassen. Doch ich rate euch dazu, seine Leiche und die seiner Mutter an einer kahlen Stätte zu verbrennen, nachher ihre Asche fünfzig Fuß in die Erde einzugraben, damit kein Grashalm darauf wachsen möge: denn solches Gras würde euch euer teuerstes Getier töten.
[19] 8. Greift nie das Volk Lydas noch Findas an. Wralda würde ihnen helfen, sodaß die Gewalt, die von euch ausginge, auf eure eigenen Häupter wiederkommen würde.
9. So wenn das möchte geschehen, daß sie von euch Rat oder etwas anderes wollen, so habt ihr ihnen zu helfen. Aber kommen sie zu rauben, fallt dann auf sie nieder gleich wie das blitzende Feuer.
10. So wenn einer von ihnen eine eurer Töchter zum Weibe begehrt und sie das will, dann sollt ihr ihre Torheit ihr bedeuten; doch will sie dennoch ihrem Freier folgen, daß sie dann mit Frieden gehe.
11. Wollen eure Söhne eine von ihren Töchtern, dann müßt ihr also tun wie mit euren Töchtern. Doch weder die einen noch die anderen dürfen wiederkehren; denn sie würden ausheimische Sitten und Gepflogenheiten mitführen, und sobald diesen bei euch gehuldigt wird, mag ich nicht länger über euch wachen.
12. Auf meine Maid Festa habe ich alle meine Hoffnung gebaut. Darum müsset ihr sie zur Ehrenmutter nehmen. Folget ihr meinem Rat, dann wird sie fürder meine Maid bleiben und desgleichen alle volkswaltenden Maiden, die ihr folgen; dann wird die Lampe nimmer ausgehen, die ich für euch angezündet habe. Deren Licht wird dann ewig euer Denken erhellen und ihr werdet ewig frei bleiben von unfreier Gewalt wie eure süßen Ströme von dem salzigen Wasser der endelosen See.
Dies hat Festa gesagt
Alle Satzungen, die eine Ewe (Jahrhundert) umlaufen mögen mit dem Kroder und seinem Jul, die mögen auf Rat der Mutter und bei gemeinem Willen auf die Wände der Burg geschrieben werden ; sind sie auf die Wände geschrieben, so sind sie Ewa (Gesetze), und es ist unsere Pflicht, sie allesamt in Ehren zu halten. [20] Kommt Not und Zwang, uns Satzungen zu geben, widerstreitend unseren Gesetzen und Gepflogenheiten, so soll männiglich tun, wie sie heischen; doch sind sie gewichen, so soll man immer zu den alten wiederkehren. Das ist Fryas Wille und das muß der ihrer Kinder sein.
Festa sagte:
»Alle Dinge, die man anfangen will, welcher Art sie sein mögen, an dem Tage, da wir Frya gehuldigt haben, werden immer verkehrt ausgehen.« Nachdem die Zeit nun bewiesen hat, daß sie recht hatte, so ist das ein Gesetz geworden, daß man sonder Not und Zwang am Fryastag nichts anderes tun soll als froh Feste feiern.
Fußnoten
- ↑ Knie = Geschlecht, Grad der Verwandschaft (vgl. Heilige Urschrift, Seite 43 f.).