GHJ Wirth
Teil I. Buch der Adela-Anhänger
G. Recht
J. Auf allen Burgen 1
Wirth 1933
[/32] Hierunter sind drei Wissen, darnach sind diese Satzungen gemacht
1. Ein jeder weiß, daß er seinen Behuf haben muß; aber wird einem seinen Behuf vorenthalten, so weiß niemand, was er tun soll, um seinen Leib zu behalten.
2. Alle gesunden Menschen werden gedrungen, Kinder zu zeugen: wird dem gewehrt, so weiß niemand, was Arges darob kommen kann.
3. Ein jeder weiß, daß er frei und ungeletzet will leben und daß andere das auch wollen.
Um sicher zu sein, sind diese Satzungen und Rechtsbestimmungen gemacht. Das Volk Findas hat auch Satzungen und Rechtsbestimmungen, jedoch diese sind nicht nach dem Recht, sondern allein zum Nutzen der Priester und Fürsten. Demzufolge sind ihre Staaten voller Zwiespalt und Mord.
1. So wenn jemand Not hat und er kann sich selbst nicht helfen, so müssen die Maiden dies zur Kenntnis des Grafen bringen, derhalben weil es sich für einen stolzen Fryas (Friesen) nicht fügt, dies selber zu tun.
[033] 2. So wenn jemand arm wird, dadurch daß er nicht arbeiten will, so muß er aus dem Lande ausgetrieben werden. Denn die Feigen und Trägen sind lästig und Arges denkend, darum soll man ihnen wehren.
3. Jeglicher junger Mann soll eine Braut suchen, und ist er fünfundzwanzig Jahr, so soll er ein Weib haben.
4. Ist jemand fünfundzwanzig Jahr und hat er noch keinen Ehegatten, so soll man ihm sein Haus verwehren. Die Knaben sollen ihn meiden. Nimmt er dann noch keinen Ehegatten, so soll man ihn totsagen, auf daß er aus dem Lande fortziehe und hier kein Ärgernis geben mag.
5. Ist einer unvermögend, dann soll er es offenbar sagen, daß niemand vor ihm zu fürchten noch sich vorzusehen hat. Alsdann mag er kommen, wo er will.
6. Verübt er nachdem Hurerei, so darf er fliehen; flieht er nicht, so wird er der Rache der Betrogenen überlassen und niemand darf ihm helfen.
7. So wenn jemand einiges Gut hat und einem anderen gefällt es dergestalt, daß er sich daran vergreift, so muß er das dreifach vergelten; stiehlt er dann noch einmal, so muß er nach den Zinnlanden[1]. Will der Bestohlene ihn freigeben, so mag er das tun. Aber geschieht es wieder, so darf niemand ihm Freiheit geben.
Diese Bestimmungen sind gemacht für neidigliche Menschen
1. So wenn jemand in hastigem Mute oder aus Neid (Zorn) eines anderen Glieder bricht, ein Auge ausstößt oder einen Zahn, wie [34] es sei, so muß ein Leidiger zahlen, was der Geleidigte heischt. Kann er das nicht tun, so muß an ihm offenkundig getan werden, was er dem anderen tat. Will er das nicht ausstehen, so soll er sich zu seiner Burgmaid wenden, ob er in den Eisen- oder Zinnlanden arbeiten darf, bis seine Schuld getilgt ist nach der gemeinen Rechtssatzung.
2. So wenn jemand so arg befunden wird, daß er einen Fryas fällt, so muß er es mit seinem Leib büßen. Kann seine Burgmaid ihm für allezeit nach den Zinnlanden helfen, so darf sie es tun.
3. So wenn der Mörder beweisen kann mit erkannten Zeugnissen, daß es durch Unglück geschehen ist, so wird er frei sein; aber geschieht es noch einmal, so muß er doch nach den Zinnlanden, auf daß man dadurch vermeide unehrenhafte Rache und Fehde.
Dies sind die Rechtssatzungen für Horningen[2]
1. Wer auf das Haus eines anderen aus Neid den roten Hahn setzt, ist kein Fryas; er ist ein Horning mit verbastertem Blute. Kann man ihn auf frischer Tat ertappen, so muß man ihn ins Feuer werfen. Er darf fliehen, so er kann, doch nirgends soll er sicher sein vor der rächenden Hand.
2. Kein rechter Fryas soll über die Fehlschläge seines Nächsten schwatzen noch reden. Ist einer missetätig wider sich selber, aber nicht gefährlich für einen anderen, so mag er sich selbst richten. Wird er so arg, daß er gefährlich wird, so muß man es dem Grafen klagen. Aber ist da einer, der einen anderen hinterrücks zeihet, anstatt es bei dem Grafen zu tun, so ist er ein Horning. Auf dem Markt soll er an einen Pfahl gebunden werden, so daß das junge Volk ihn anspeien kann. Darauf leite man ihn über die Grenzen, aber nicht nach den Zinnlanden, dieweil ein Ehrenräuber auch da zu fürchten ist.
[35] 3. So wenn da irgendeiner so arg wäre, daß er dem Feinde verriete, Pfade und Nebenpfade wiese, um zu unseren Fluchtburgen zu gelangen, oder sich zur Nacht hineinzuschleichen, derselbe wäre gezeugt aus Findas Blut. Ihn würde man verbrennen müssen. Die Seeleute sollten seine Mutter und seine Sippen nach einer fernen Insel bringen und daselbst seine Asche stäuben, auf daß daraus keine giftigen Kräuter wachsen können. Die Maiden sollen seinen Namen verwünschen über alle Staaten, auf daß kein Kind seinen Namen erhalte und die Alten ihn verwerfen mögen.
Krieg war verzogen, aber Not war an seiner Statt gekommen. Nun gab es drei Menschen, deren jeder einen Sack Korns stahl von absonderlichen Eignern. Doch sie wurden alle gefaßt. Nun ging der erste hin und brachte den Dieb zum Schulten. Die Maiden darob sprechend sagten allewege, daß er nach dem Rechte getan hätte. Der andere nahm dem Dieb das Korn weg und ließ ihn fürder mit Frieden. Die Maiden sagten, er hätte wohl getan. Aber der Dritte Eigner ging hin zu dem Hause des Diebes. Als er nun sah, wie Not ihren Sessel aufgestellt hatte, da ging er zurück und kehrte wieder mit einem Wagen voller Notdurft, damit er die Not von dem Herd vertriebe. Fryas Maiden waren bei ihm einhergegangen und hatten seine Tat in das ewige Buch geschrieben, derweilen sie alle seine Mängel ausgewischt hatten. Der Ehrenmutter ward es gesagt, und sie ließ es kundmachen durch das ganze Land.
[44] Was hierunten steht, ist in die Wände der Waraburg geritzt[3]
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Was hieroben steht, sind die Zeichen des Juls. Das ist das älteste Sinnbild Wraldas, auch von dem Anfang oder dem Beginne, woraus die Zeit kam: dieser ist der Kroder, der ewig mit dem Jul umlaufen muß. Darnach hat Frya die Standschrift gemacht, die sie gebrauchte zu ihrem Tex (Rat). Als Festa Ehrenmutter war, hat sie die Runschrift oder laufende Schrift davon gemacht. Der Weißkönig, das ist Seekönig, Godfried der Alte, hat davon die absonderlichen Zahlnenner (Zahlzeichen) gemacht für Stand- und Runschrift beide. Darum ist es nicht zuviel, daß wir jährlich einmal derenthalben Fest feiern. Wir dürfen Wralda ewig Dank weihen, daß er seinen Geist so stark über unsere Ahnen hat fahren lassen.
[45] In ihrer Zeit hat Finda auch eine Schrift erfunden, aber das war so hochfahrend und voll Kräuseln und Kringeln, daß die Nachkommen deren Bedeutung bald verloren haben. Nachdem haben sie unsere Schrift gelernt, mit namen die Finnen, die Thyrier und die Krekaländer. Aber sie wußten es nicht gut, daß es von dem Jul gemacht war und daß es darum allzeit geschrieben werden mußte mit der Sonne herum. Dabei wollten sie, daß ihre Schrift unlesbar sein sollte für das andere Volk, denn sie haben immer Geheimnisse. Indem sie also taten, sind sie sehr aus der Weise geraten, dermaßen, daß die Kinder die Schriften ihrer Eltern schwerlich lesen konnten, während wir unsere allerältesten Schriften ebenso leicht lesen können als diejenigen, welche gestern geschrieben sind.
Hierunter ist die Standschrift, darunter die Runschrift, fürder die Zahlnenner auf beide Weisen. (Vgl. hierzu Faksimile IV und V.)
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Dies steht auf allen Burgen geschrieben
Ehe die arge Zeit kam, war unser Land das schönste in der Welt. Die Sonne stieg höher und es gab selten Frost. An den Bäumen und Sträuchern wuchsen Früchte und anderes Genüge, die nun verloren sind. Unter den Grassaaten hatten wir nicht allein Korn, Haver und Blyde[4], sondern auch Swete[5], die gleich Gold blinkten und die man unter den Sonnenstrahlen dörren konnte. Die Jahre wurden nicht gezählt, denn das eine Jahr war so freudig wie das andere.
Auf der einen Seite wurden wir von Wraldas See eingeschlossen, auf dem kein Volk außer uns fahren mochte noch konnte. An der anderen Seite wurden wir von dem breiten Twiskland[6] umzäunt, wodurch das Finda-Volk nicht zu kommen wagte, wegen der dichten Wälder und des wilden Getieres. Gegen Morgen grenzten wir an das Außenende der Astersee (Ostsee), gegen Abend an die Mittelsee, so baß wir außer den kleinen wohl zwölf große Süßwasserströme hatten, uns durch Wralda gegeben, um unser Land [46] kräftig zu erhalten und um unserem tapferen Volke den Weg nach seiner See zu weisen.
Die Ufer dieser Ströme wurden fast allesamt von unserem Volke besessen, auch die Felder an dem Rhein, von dem einen Ende bis zum anderen. Gegenüber den Dänemarken[7] und Juttenland hatten wir Volkspflanzungen mit einer burgmaid. Von dort gewannen wir Kupfer, nebst Teer, Pech und einigem anderen Behuf. Gegenüber unserem vormaligen Westland hatten wir Britannien mit seinen Zinnlanden. Britannien war das Land der Bannlingen (Geächteten), die mit Hilfe ihrer Burgmaid weggezogen waren, um ihren Leib zu behalten. Doch damit sie nicht zurückkommen sollten, wurde erst ein B vorn auf ihre Stirn geprickelt, den Bannlinge mit roter Blutfarbe und den anderen Missetätern mit blauer Farbe. Außerdem hatten unsere Seeleute[8] manche Stapelplätze in den nahen Krekalanden und in Lydia[9]. In Lydia sind die schwarzen Menschen.
Da unser Land so geräumig und groß war, hatten wir viele absonderliche Namen. Diejenigen, welche saßen östlich von den »niederen Marken« (Dänenmarken), wurden Jutten geheißen; die, welche saßen auf den Inseln, wurden Stjurar (Steurer), Seekämpen und Angelaren geheißen[10]. Die, welche von dort bis zu dem nächsten Krekaland saßen, wurden bloß Kadheimer[11] genannt, weil sie nie hinausfuhren. Die, welche in den Hohen Marken saßen, welche an die Twisklande grenzten, wurden Sachsmänner geheißen, aus dem Grunde, weil sie immer gewappnet waren wider das wilde Getier und die verwilderten Britnen (Britten). Überdies hatten wir die Namen Landsassen, Meersassen[12] und Holz- oder Waldsassen.
[47] Wie die arge Zeit kam
Den ganzen Sommer war die Sonne hinter den Wolken verborgen, als wollte sie die Erde nicht sehen. Der Wind ruhte in seiner Höhle, wodurch Rauch und Dampf gleich Säulen über Haus und Pfuhlen standen. Die Luft ward also trüb und dämmerig und in den Herzen der Menschen war weder Frohsinn noch Freude. Inmitten dieser Stille begann die Erde zu beben, gleich wenn sie sterbend wäre:
Berge splissen voneinander, Feuer speiende und Lohe; andere sanken in ihren Schoß nieder, und wo sie erst Felder hatte, hob sie Berge empor. Aldland, von den Seeleuten Atland geheißen, sank nieder, und das wilde Haff trat so lange über berge und Täler, bis alles in der See versenkt war. Viele Menschen wurden in der Erde verschüttet, und viele, die dem Feuer entkommen waren, kamen danach in dem Wasser um. Nicht allein in den Landen Findas spien die Berge Feuer, sondern auch in Twiskland. Wälder brannten dadurch hintereinander weg, und der Wind, der von dannen kam, wehte unser Land voll Asche. Flüsse wurden verlegt, und an ihren Mündungen kamen neue Inseln von Sand und treibendem Getier.
Drei Jahre war die Erde also leidend : aber als sie besser wurde, konnte man ihre Wunden sehen. Viele Länder waren versunken, andere aus der See aufgestiegen, und das Twiskland halbteils entwaldet. Banden des Finda-Volkes überzogen die ledigen Gegenden. Unsere Weggezogenen wurden vertilgt oder sie wurden ihre Hörigen. Da wurde Wachsamkeit uns doppelt geboten, und die Zeit lehrte uns, daß Eintracht unsere stärkste Burg ist.
Fußnoten
- ↑ Britannien.
- ↑ Horning = Hurenkind.
- ↑ Hierzu vergleiche man die Abbildungen der Handschrift, Faksimile Nr. III. Die Runenbuchstaben wurden von mir in unsere heutigen Schriftzeichen übertragen, wobei die symbolische Sechszahl der Buchstaben der drei altfriesischen Namen nicht beibehalten werden konnte, wohl aber entsprechend dem Lautwert um das Julrad geschrieben wurde.
- ↑ »blyde«, unbekannte Getreideart?
- ↑ »swete« = süße Äpfel? Ottema übersetzt »Weizen«.
- ↑ twisk, tuisc, twiska, tuisca usw. = »zwischen«, also Zwischenland; auch diese Benennung für Deutschland dürfte wohl auf den Humanisten zurückgehen.
- ↑ dena marka = »niederen Marken«.
- ↑ stjurar = »Steurer« wird von mit weiter mit »Seeleute«, »Seefahrer« oder »Seevolk« übersetzt.
- ↑ Mit »Lydia« wird Afrika gemeint, Lydia steht hier vermutlich für Lybia. Der folgende Satz ist eine Glosse des Abschreibers.
- ↑ Stjurar sind die Sturii des Plinius (NH. 4, 101), ansässig auf den Inseln zwischen Rhein-Maas-Mündung; Secempa wschl. = Sugambri; Angelari wschl. = Anglii (Tacitus Germ. 40).
- ↑ Kadheimer = Küstenbewohner. Die »Krekalanda« werden unterschieben in die »nahen« (Italien) und »fernen« (Griechenland): diese Bezeichnung für »Graecia« dürfte wahrscheinlich ebenfalls auf den Humanisten zurückgehen.
- ↑ Marsata = Marsaci (Tacitus Hist. 41, 56 und Plinius NH. 4, 101).